Into the Wild

Die Wildnis ist nicht unbedingt ein Ort, wo sich jeder wohlfühlt. Spätestens nach ein paar Tagen merkt man, ob man mit der Abgeschiedenheit und dem Verzicht klar kommt. Tagelang ohne Zivilisationsanschluss auskommen ist für manche ein Traum, für andere der blanke Horror. In der Wildnis gibt es nichts – kein Handynetz, keinen Supermarkt, keine warme Dusche, kein richtiges Bett. Und genau das ist es, was uns an der Wildnis in Alaska so reizt. Es gibt nur die Natur und das, was man mitbringt. Für so einen Trip in die Abgeschiedenheit braucht es nicht nur eine gute Planung, es setzt auch eine gewisse mentale Stärke voraus. Man sollte vorab wissen, was man sich zumuten kann und wo die Grenzen sind. Gerade wenn man zu zweit allein unterwegs ist, sollte man zudem wissen, was man dem Partner zumuten kann.

Das mit der Planung geht inzwischen erstaunlich gut. Denn wir können nach den Touren, die wir bisher gemacht haben, ganz gut einschätzen, was wir brauchen und verbrauchen. Mit einem Großeinkauf für drei Wochen und einer standesgemäßen Taxifahrt zurück ins Hostel war alles erledigt. Natürlich wurde einiges an Material noch ergänzt. Oberste Priorität hatten dabei der Mückenschutz und die Bärenabwehr. Für alle Wildnisinteressierten gibt es hier unsere Einkaufs- und Packliste als pdf.

Eine Frau, ein Mann, ein Boot, ein Jahr

Wir geben es ja beide zu. Sportlich betrachtet sind wir mehr Individualsportler. Oder auch Einzelkämpfer. Dass wir zusammen 21 Tage auf dem Wasser in einem Boot miteinander paddeln würden, schien für uns die größte Herausforderung. Das Boot ist nicht gekentert, als ganzes Boot wieder angekommen und freiwillig ist auch keiner über Board gesprungen – womit man durchaus festhalten kann: Wir haben uns gut verstanden :-) Nicht nur in den drei Wochen auf dem Wasser auch im letzten Jahr. Ein ganzes Jahr sind wir jetzt schon unterwegs. Zusammen. Wir haben auf dem Kanu-Trip nicht nur unseren ersten Hochzeitstag gefeiert, sondern auch, dass wir schon ein Jahr auf Reisen sind. Die Zeit alleine auf dem Fluss und in der Wildnis war für uns vielleicht sogar einfacher als für andere, denn wir sind es momentan gewöhnt, viel Zeit zusammen alleine zu verbringen.

In der Nacht sind alle Tiere Bären

Wir waren in der Wildnis unterwegs. Mitten in der Wildnis. Wilde Tiere sind da keine Seltenheit. Sie zu erblicken löst dabei oft zwiespältige Gefühle aus. Auf einen Bären zu treffen hat etwas Magisches, aber auch etwas Gefährliches. Was, wenn das Tier bei einer Begegnung anders reagiert, als das was wir über Bären bisher lernen konnten oder in der Nacht unsere ganzen Vorräte aufgefressen werden. In der Nacht wird aus jedem Geräusch ein potenzieller Bär. Der Bär war von Anfang an ein Thema, gerade weil wir immer noch nicht daran gewöhnt sind, den Wald mit ihm zu teilen. Unser Camp war daher immer so bärensicher wie möglich aufgebaut. Das heißt: Die Vorräte mindestens 50 m vom Zelt weg, ein bärensicherer Behälter mit Notvorräten für ein paar Tage, das Bearspray immer in greifbarer Nähe, und immer schön laut sein, damit der Bär weiß, dass da jemand ist. Es gab natürlich keinen Zwischenfall. Wenn wir Bären gesehen haben, dann vom Wasser aus, immer mit genügend Abstand (und natürlich so, dass Stefan sie nicht vor die Linse bekommen hat ;-))

Wind und Regen

In Alaska kann es durchaus mal mehrere Tage am Stück regnen – damit hatten wir vorab gerechnet. Hinzu kam, dass der Sommer 2014  in Fairbanks einer der regenreichsten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ist. Das Glück war jedoch mit uns und wir haben in den Bergen weiter im Norden nur zwei Tage Regen und einige Schauer zwischendurch abbekommen. Vielmehr hat uns etwas anderes zu schaffen gemacht: Der Wind. Gegenwind (vor allem auf dem Yukon) ist so ungefähr das Nervigste, was man sich beim Paddeln vorstellen kann. Nicht nur, dass man dass Gefühl hat nicht voran zu kommen, der Wind zieht einem die komplette Energie aus dem Körper. Eine doppelte Tagesration an Nudeln oder Reis ist nach so einem Tag das Mindeste, was man sich gönnt. Besser ist noch ein Schnaps obendrauf ;-) Der Wind knabbert nicht nur an den Klamotten, sondern auch an den Nerven. Die Entfernungen, die man pro Tage zurücklegt schrumpfen zum Teil auf die Hälfte. Die einzige Möglichkeit, dem Wind etwas auszuweichen ist nachts zu paddeln. Es ist ja eh hell. Wenn sich das Landschaftsbild allerdings tagelang kaum ändert und dennoch mindestens 50 km pro Tag zurückgelegt werden müssen, um rechtzeitig das Ziel zu erreichen, kann selbst ein nur leichter Gegenwind nerven. Aber wir mussten weiterkommen und konnten nicht ewig auf Windstille warten. „Alles muss, nix kann.“ war der Spruch, der uns tagelang begleitet hat. Dabei leidet jeder anders. Stefan fängt an zu fluchen, Julia bleibt komplett ruhig. Vertausche Rollen? Haben wir uns auch gedacht, aber Julia hat eine Ruhe und Gelassenheit in der Wildnis entwickelt, die Stefan total überrascht hat – Julia im Übrigen auch. Das macht die Wildnis. Und dass Stefan so kreativ fluchen kann ist auch neu.

Lichttherapie

Nach unserem Roadtrip durch Neuseeland waren wir in Kanada schon froh, dass es bis weit nach 22:00 Uhr hell blieb. Wir hatten es satt in der Dunkelheit irgendwo im Auto zu sitzen. In Alaska wurde es gar nicht dunkel. Das bedeutete für Stefans Fotos zwar, dass auf spektakuläre Sonnenauf und -untergänge verzichtet werden musste, für uns selbst war es aber immer noch Balsam auf die Seele. Nicht einmal mussten wir die Strinlampe auspacken. Auch das Schlafen in der Helligkeit bereitet keine Probleme, nur war es schwer mitten in der Nacht einschätzen zu können, wie spät es war. Irgendwann zwischen 5:00 Uhr und 9:00Uhr sind wir halt immer aufgestanden und zwischen 21:00 Uhr und Mitternacht wieder ins Bett. Aber eigentlich war das auch egal. Wir hatten ja keine Verpflichtungen oder Termine an die wir uns halten mussten – bis auf den Abholtermin am Yukon Crossing.

Weltmeister in der Wildnis – Satellitentelefone

Handynetz gibt es in Alaska abseits der Straße kaum. Als einzige Möglichkeit zu kommunizieren bleibt das Satellitentelefon. Das ist allerdings eine kostspielige Angelegenheit. Nicht nur die Telefonate sind teuer, auch die Miete bzw. Anschaffung. Alternativ gibt es für den Notfall die sogenannten ,Spots‘, mit denen man einen Notruf absetzen und in der Regel innerhalb von 24 Stunden mit einem Helikopter rechnen kann. Beides hatten wir nicht dabei. Wir waren uns durchaus darüber im Klaren, dass dies ein Risiko birgt ohne Netz und doppelten Boden in die Wildnis zu gehen. Ein wenig hatten wir auch darauf spekuliert Leute zu treffen, die mit Satellitentelefon unterwegs sind. Und wir hatten Glück. Innerhalb der ersten Wochen haben wir eine Gruppe von vier Männern überholt, die uns einen Tag nach dem WM-Endspiel freudig mitteilten, dass Deutschland Fußballweltmeister ist (und dies per Satellitentelefon abgefragt haben) und wir haben ein Paar aus Cottbus überholt, die auch eben mit einem Telefon ausgestattet waren (auch sie waren über das WM-Ergebnis bestens informiert). Beide blieben hinter uns und waren somit unser Auffangnetz für den Notfall. Auch wenn diesmal alles gut gegangen ist, nochmal werden wir das in der Form nicht machen. Denn ein Satellitentelefon ist durchaus sinnvoll, nicht nur für das Abfragen von Fußballergebnissen. Wir mussten am letzten Tag unseres Abenteuers noch einmal fast 50 km gegen den Wind paddeln bis wir endlich am Yukon Crossing waren, dort wo der Dalton Highway den Yukon überquert – und die letzte Möglichkeit bietet, den Yukon mit dem Auto zu erreichen. Hätten wir ein Telefon dabei gehabt, hätten wir unseren Abholtermin verschoben und die Etappe auf die folgende Nacht gelegt. So wurde aus dem letzten Tag ein letzter Kampf gegen den Wind.

Beaver Creek – Completed

Der Beaver Creek hat einen komplett anderen Charakter als der Yukon River. Am Beaver Creek gibt es viele herabhängende und umgekippte Bäume (sogenannte Sweepers) und teilweise blockierte Passagen, um die herum manövriert werden muss. Der Fluss ist vor allem im oberen Teil schmaler und klarer. Die Landschaft ist von den White Mountains geprägt, sehr abwechslungsreich und die Chance Bären, Elche, Adler und andere Tiere zu sehen ist ziemlich hoch. Nach ca. 200 km gibt es die Möglichkeit sich mit dem Bushflugzeug abholen zu lassen. Ein weiser Plan für alle, die das nötige Kleingeld haben (kostet in diesem Fall ca. US$ 800). Denn im unteren Teil windet sich der Beaver Creek sehr langsam durch das Yukon Flats National Wildlife Refuge bis er schließlich in den Yukon fließt. Dieser Teil ist extrem langatmig und mühsam. Nach jeder Kurve denkt man, gleich kommt etwas anderes, gleich wird es besser. Weit gefehlt! Es geht so weiter. Tagelang. Bei Hochwasser gibt es teilweise über hundert Kilometer lang keine wirklich geeignete Zeltmöglichkeit auf einer Kiesbank und man muss in den Wald ausweichen. Wir hatten Hochwasser. Ein zweites Mal innerhalb von 3 Wochen ist das Wasser stark angestiegen, aber diesmal waren wir auf dem Fluss und konnten nichts machen, nur hoffen, das das Wasser bald wieder zurück geht. Selbst der Yukon führte als wir wieder auf ihn trafen Hochwasser. Die Kiesbänke waren zum Teil immer noch überspült. In Kombination mit dem bereits erwähnten gehassten Wind, war die Schlafplatzsuche kein reines Vergnügen… Aber wir haben es geschafft und im Nachhinein ist alles halb so schlimm. Dennoch, der untere Teil des Beaver Creeks sieht uns definitiv nicht wieder! Man muss aber dazu sagen, dass, wenn man sich für den Fluss wie empfohlen 3 Wochen Zeit lässt, alles wieder viel entspannter wird – bei der Verkürzung auf 2 Wochen bekommt das Ganze einen doch recht sportlichen Charakter!

Vom Yukon in den Yukon

In 21 Tagen haben wir auf dem Fluss ca. 850 km zurückgelegt – das ist fast die Strecke von Innsbruck nach Hamburg. Trip 1: ca. 250 km von Eagle nach Circle auf dem Yukon. Trip 2: ca. 600 km vom Nome Creek über den Beaver Creek in den Yukon bis zum Yukon Crossing. Wir haben unser Abenteuer auf dem Yukon gestartet und auch auf dem Yukon beendet. Vom Yukon Crossing sind wir am Ende über den Dalton Highway zurück nach Fairbanks gefahren. In Fairbanks mussten wir einen Weg finden, um nach Anchorage zu kommen, von wo wir vor Wochen einen Flug nach L.A. gebucht hatten. Kurzfristig in der Sommerhochsaison fliegen? Viel zu teuer! Bus? Immer noch zu teuer! Also sind wir getrampt. Nicht ganz einfach, aber es hat geklappt. Einheimische – native people – haben uns mitgenommen. Auf diese Weise haben wir noch einiges über das Leben und die Leute im Interior und am Yukon erfahren. Seit sieben Wochen sind wir nun schon in Nordamerika. Ein paar Tage haben wir noch. Mit Los Angeles, Kalifornien gibt es einen krassen Wechsel von der Wildnis in den Stadtdschungel.

 

Und hier das Entschleunigungsvideo von unserem Alaska-Trip:

 

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